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WikiPetra - Die Litfaßsäule: ein historisches Erfolgskonzept feiert Geburtstag

Vor 150 Jahren verstarb mit Ernst Litfaß ein Mann der Medien-Geschichte schrieb. Er war Druckereibesitzer, Verleger und vor allem Erfinder der nach ihm benannten Litfaßsäule. Bis heute ein Instrument der „Bürgerkommunikation“. Sie machte ihn wohlhabend und zu einem angesehenen Mann seiner Zeit. Noch heute sind die runden bis zu 3,50 Meter hohen Anschlagsäulen in nahezu jeder Stadt zu finden: sei es in der klassischen Form mit Papierplakatierung oder als transparente digitale Hightec-Variante mit Lichtspiel und Monitoren. Laut dem Fachverband für Außenwerbung (Frankfurt) soll es deutschlandweit derzeit noch rund 19.000 Stück geben; 2005 waren es noch 51.000. Eine Spurensuche von Petra Fritz in DNEWS24.

WikiPetra – Reportagen, Hintergrund-Recherchen, Kommentare von Petra Fritz in DNEWS24

Aufstieg und Krise einer Werbeikone

Lange Zeit war die Litfaßsäule derjenige Ort, wo amtliche Bekanntmachungen veröffentlicht und Konsumgüterwerbung betrieben wurde, aber auch (Wahl-)Propaganda und Suchanzeigen/ Vermißtenmeldungen publiziert wurden. Allein in Hamburg gibt es heute noch rund 1.000 dieser Info-Klassiker. Ihr Säulenkörper besteht meist aus einem gemauerten Sockel, der mit einem Rosettenkranz abgerundet ist; manchmal auch nur aus simplen aufeinander gesetzten Betonringen und sind innen hohl. Einige davon stehen mittlerweile so gar unter Denkmalschutz, denn die teils stattlichen Schönheiten – mal mit, mal ohne elegantes „Spitzkegeldächlein – haben wahrlich viel erlebt. Sie sahen Soldaten in den Krieg ziehen und Protestkundgebungen, aber auch die erste Persil-Frau freundlich davon herablächeln.

Niemanden, nicht mal Königen und Kaisern, wurden also so viele „Denkmäler“ gesetzt. Laut dem Fachverband für Außenwerbung (Frankfurt) sind viele davon noch ganz klassisch mit verschiedenen Plakaten beklebt, andere werden inzwischen exklusiv nur von einem Kunden betrieben.

Doch während sie in Hamburg eher gepflegt werden, müssen in Berlin Zug um Zug nun fast alle 2.500 Exemplare weichen – so die Berliner Morgenpost vom 02.06.2023. Lediglich 25 unter Denkmalschutz stehende Säulen werden wohl überleben – u.a. in den Stadtteilen Charlottenburg und Pankow. Alle anderen sollen wegen auslaufender Verträge abgerissen werden und zugunsten von modernen „Werbeanlagen“ weichen. Was wohl der gebürtige Berliner darüber denken würde?

Idee und Umsetzung

Sich sprichwörtlich rundherum zu informieren lag für den gelernten Buchhändler und Hersteller von Bilderbögen und Reisebüchern auf der Hand. Nach ausgiebigen Europareisen übernimmt Litfaß 1845 das marode Geschäft seines Stiefvaters und ersinnt fortan neue Drucktechniken (wie das Schnellpressen und den Buntdruck nach französisch-englischem Muster) und Werbeformen. So hatte der umtriebige Werbe-Pionier 1849 anläßlich der Berliner Industrieausstellung das erste Riesenplakat mit den seinerzeit gigantischen Maßen von 6 x 10 Metern erdacht und aufstellen lassen.

Zurück in seiner Heimatstadt erlebt der ordnungsliebende Geschäftsmann vermehrt „wildes Plakatieren“ an Hauswänden, Zäunen und Bäumen und schlägt den Behörden – nicht ohne Hintergedanken – eine Konzentration an belebten Punkten in der Stadt vor. Im Dezember 1854 unterzeichnet Litfaß in Abstimmung mit dem Polizeipräsidium einen Konzessionsvertrag zur Errichtung von 150 „Annonciersäulen“ für die Dauer von zunächst 15 Jahren. Für das Plakatieren wird unter seiner Verantwortung von nun an eine Gebühr fällig; wildes Plakatieren unter Strafe verboten. 

Heute würde man das eine Win-Win-Situation nennen. Am 15.04.1855 wird die erste Säule (damals aus Eisenblech) direkt vor seiner Druckerei in der Adlerstraße errichtet, die 100ste bereits im darauffolgenden Juli. Optisch vermutlich inspiriert von den Pariser Toilettenhäuschen (den sog. „Colonnes Urinaires“), deren Außenwände auch als Anschlagtafeln genutzt wurden. Werbewirksam hatte Litfaß zur Feier des Tages so gar eine marschartige „Annoncir-Polka“ komponieren lassen, deren Klänge schon von weitem zu hören waren. Man kann sich vorstellen, daß die Berliner in Scharen herbeieilten, um beim Einweihungsakt dabei zu sein. 1863 wird der angesehene Unternehmer und Wohltäter von Kaiser Wilhelm I schließlich zum „Königlichen Hofbuchdrucker“ ernannt. Heute steht eine eiserne Gedenksäule in der Münzstraße in Berlin.

Lange Zeit hat der Unternehmer Litfaß so etwas wie ein Monopol auf die Plakatwerbung und wird ein reicher Mann. Die Anschlagsäulen waren seinerzeit angeblich so beliebt, daß sich häufig bis zu 100 Papierschichten darauf fanden und die übergewichtigen Reklametonnen regelmäßig von speziellen „Abrißkommandos“ befreit werden mußten. Hätte das „Kaiserliches Patentamt“ in Berlin nicht erst am 01. Juli 1877 seine Tätigkeit aufgenommen, hätte er auch hier sicher Spitzenreiter gewesen.

Bei alle dem gab es auch Widersacher. Der Philosoph Paul Scheerbart (1863-1915) rief mit den Worten „Zerschlagt sie“ einst zum Sturm auf die Säulen auf. Für ihn waren sie nicht nur ein architektonisches oder urbanes, sondern aufgrund der Zahlungen und Behördenmacht auch ein autoritäres Element.

Auch der Kiosk und so manche belgische Frittenbude werden schon lange tot gesagt und doch schaffen es angepaßte, modernisierte Formen davon seit Jahren zu überleben, ja so gar ein Revival zu erleben. Die Behörden, Nutzer und Werbepartner müssen nur wollen; schließlich sind Retro und Nachhaltigkeit gerade In. Einige Säulen (z.B. in Köln) sind inzwischen auch zu ansprechenden Kunstwerken umgewandelt worden und haben so als Openair-Museum eine neue Bestimmung gefunden.

Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche (Jean Jaurés)

Ich mag mir das ultimative Ende dieses Informationsmediums gar nicht vorstellen. Zumal auf vielen Plakaten heute moderne Gadgets wie QR-Codes aufgedruckt sind, und man so auch im digitalen Zeitalter den Klassiker nutzen kann, um eine Werbebotschaft punktgenau und preiswert für Zielgruppen zu platzieren. Die sog. TKP’s (TausendKontaktPreis = Preis der Werbung durch Reichweite mal tausend) für Plakattafeln sind mit ca. 6.- € und Plakatsäulen mit 4.- € pro Quadratmeter m. W. nämlich vergleichsweise günstig. Man muß das Rad mit viel Aufwand bzw. Rückbau also nicht neu erfinden, nur manchmal die „Speichen“ erneuern. Zugegeben: die modernen Säulen wirken im Vergleich zu den meist schmucken Versionen der „guten alten Zeit“ geradezu unscheinbar, sind per Elektronik aber auch schneller und leichter (ohne Leiter und Klebehandwerk) zu nutzen … und sie drehen sich meist selbst. Alles eine Frage der Perspektive.

Ernst Litfaß verstarb am 27.12.1874 während einer Kur in Wiesbaden. Das Geschäft wurde an seine minderjährigen Erben übergeben und existierte noch bis in die 1920er Jahre. Sein Ehrengrab auf dem Drotheenstädtischen Friedhof in Berlin ziert indes keine (Marmor)Säule, sondern „nur“ eine Tafel mit seiner Unterschrift. Der Nachlass von Ernst Litfaß kam nach 1925 ins Märkische Museum. Heute gehört er als Teil der Dokumentensammlung zu den wichtigsten Nachlässen im Stadtmuseum Berlin. Berlin und Hamburg sind immer eine Reise wert.

Apropos: Bald ist Valentinstag, warum nicht eine Säule mieten und seiner/m Liebsten darauf eine Liebeserklärung oder gar einen Heiratsantrag machen? Sag’s durch die Säule …

Bild: PFritz © DNEWS24

Die Autorin

Petra Fritz

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer und Locarno. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US-Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg und in Folge 12 Jahre im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb) tätig, davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Von 2002 bis 2022 war Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für verschiedene Amtsgerichte in der Vorderpfalz. Seitdem widmet sie sich verstärkt ihrer Coaching- und Autorentätigkeit.

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Teilnehmerin bei der Profi-WM 1978 und Top 10 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten agiert sie seit 2012 auch als semi-professional Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“.

Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.

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