Sonntagsfrage: Merz und Klingbeil ohne Mehrheit
Die aktuellen Zahlen der INSA-Potential-Analyse zur Sonntagsfrage.
Seit rund acht Wochen ist die neue Bundesregierung im Amt. Neuwahlen würden ähnlich ausgehen, wie die Bundestagswahl am 23. Februar. Es gab am 23. Februar 60 Millionen Wahlberechtigte, Schwarz-Rot erzielte mit 45 Prozent der Wählerstimmen eine parlamentarische Mehrheit. Dem BSW fehlten 9.500 Stimmen für den Einzug in den Bundestag. An diesen Stimmen hängt aber nicht nur die parlamentarische Vertretung des BSW im Bundestag, sondern auch die parlamentarische Mehrheit der Regierung Merz/Klingbeil.
Aufschlussreich sind die unterschiedlichen Stimmungen in West und Ost. Im Westen käme die CDU/CSU auf 29 Prozent, im Osten nur auf 23 Prozent. Auch SPD (17 Prozent im Westen zu 10 Prozent im Osten), Bündnis90/Die Grünen (12 Prozent im Westen und 7 Prozent im Osten) sowie die FDP (4 Prozent im Westen und 2 Prozent im Osten) sind im Westen deutlich stärker als im Osten. Anders die anderen Parteien: Im Westen käme die AfD auf 21 Prozent, im Osten ist sie mit 34 Prozent die mit Abstand stärkste Kraft. Die Linkspartei überzeugt im Westen neun Prozent und im Osten 13 Prozent. Auch das BSW (4 Prozent im Westen und 9 Prozent im Osten) würde derzeit nur wegen der besonderen Stärke im Osten den Sprung in den Bundestag schaffen.
Die unterschiedliche Stimmung zwischen West und Ost – wobei mit dem Osten die neuen Bundesländer und ganz Berlin gemeint sind – zeigt sich auch thematisch und bei anderen Fragen: Bei einer hypothetischen Kanzlerdirektwahl käme Friedrich Merz im Westen auf 39 Prozent und im Osten auf 24 Prozent. Bei Alice Weidel ist es genau umgekehrt – sie wäre im Osten so stark wie Merz im Westen – 39 Prozent im Osten und 24 Prozent im Westen. Übrigens käme Weidel (51 Prozent) bei den Wählern rechts der Mitte sogar auf eine absolute Mehrheit gegen Merz (33 Prozent). Bei den Wählern links der Mitte (41 Prozent zu 13 Prozent) und in der Mitte (40 Prozent zu 22 Prozent) liegt Merz jeweils vor Weidel.
Ähnlich ticken die Befragten, wenn’s um die rechnerisch möglichen Regierungskoalitionen ginge: Nur die Befragten, die sich selbst rechts der Mitte verorten, sind absolut mehrheitlich (56 Prozent) für Schwarz-Blau. Wähler, die sich selbst links der Mitte verorten, sind relativ mehrheitlich für eine rot-grün-rote Minderheitsregierung (33 Prozent). Mitte-Wähler würden relativ-mehrheitlich keine der abgefragten Koalitionen bevorzugen (30 Prozent). Sie nennen aber Schwarz-Blau zu 18 und Schwarz-Rot-Grün zu 16 Prozent. Das macht der Union die Entscheidung für Koalitionen so schwer: Jeweils etwa ein Drittel der Wähler bevorzugen auf der einen Seite eine schwarz-blaue Koalition (24 Prozent) oder eine schwarze Minderheitsregierung (9 Prozent) oder auf der anderen Seite ein Bündnis mit ausschließlich linken Parteien (13 Prozent für eine rot-grün-rote Minderheitsregierung) oder ein Bündnis der Union mit zwei linken Parteien, Schwarz-Rot-Grün (13 Prozent) oder Schwarz-Rot-Rot (9 Prozent). Deutschland ist ein politisch gespaltenes Land, das ist insbesondere für eine Partei, die sich wie die Union klassisch als eine Partei der Mitte versteht, eine große Herausforderung. Will sie ihre Bindungskraft auf Wähler rechts der Mitte, früher ihre Stammwähler, nicht verlieren, kann sie nicht auf Dauer nur mit Parteien Politik gestalten, die politisch links von ihr stehen. Ich würde niemandem widersprechen, der davon ausgeht, dass sich die Zukunft von CDU/CSU bis 2030 entscheidet. Trotzdem fehlt ihr, für alle ganz offensichtlich, eine parteistrategische Agenda 2030.
Hermann Binkert (INSA)