Wie hoch ist das Auftrittsrisiko, was bedeutet der Verlust der Heimat?
Mit dem Tod ihres Mannes Alexej Nawalny erbte Julija Nawalnaja quasi dessen Freiheits- und Gerechtigkeitskampf. Aus dem Exil heraus (ihr genauer Aufenthaltsort ist aus Sicherheitsgründen nur wenigen bekannt) will sie Putin weiterhin die Stirn bieten.
Erstmals in ihrem Leben ist sie dafür nach Hamburg gereist; mit dabei Sohn Zahar und ein Leibwächter. Wo und wie Tochter Darja inzwischen lebt, wie sie über die aktuelle Situation und das Handeln ihrer Mutter denkt, wird nicht thematisiert. Angeblich studiert sie dank eines Stipendiums an der renommierten Stanford University in den USA.
Anläßlich des zehnten Jubiläums „Tage des Exils“ unter Regie der Körber-Stiftung, ist Julia Nawalnaja – wie andere Persönlichkeiten der letzten Jahre auch, als da sind z.B. 2018 Can Dündar, 2023 Herta Müller, 2024 Christopher Hope – nicht nur Rednerin, sondern auch Schirmherrin des Events. Sie spricht nicht frei, sondern liest ihr Anliegen konzentriert vom Blatt ab. Ebenfalls eingeladen sind die Ex-Sprecherin von Alexej Nawalny, Kira Jarmysch und ein weiterer im Exil lebende Oppositioneller namens Leonid Wolkow.
Wie verkraftet man das Leben im Exil?
In rot gekleidet mit schwarz-gerandeter Brille und blonder Hochsteckfrisur spricht sie in Englisch. Aber kaum über sich selbst, sondern über allgemeine Daten und Zahlen von Vertriebenen aus der Ukraine, Russland und anderen Teilen der Welt. Obwohl sie Deutschland und anderen westlichen Staaten dankbar für die Unterstützung und Aufnahme von Exilanten ist, würden viele Demokratien dieser Welt – ihrer Meinung nach – derzeit jedoch keinen guten Job machen. Was sie genau damit meint, bleibt offen.
Ist das noch dieselbe Frau, die vor einem Jahr bei der Münchener Sicherheitskonferenz höchst emotional über den schmerzhaften Verlust ihrer großen Liebe sprach?
Damals war sie (zurecht) wuterfüllt und energiegeladen, wollte mit dem Kreml abrechnen und statt ihres Mannes um die Präsidentschaft kämpfen. Ein „Kampf gegen Windmühlen“ hinterläßt offensichtlich Spuren und macht angreifbar. Nun immer in der ersten Reihe zu stehen, statt hinter ihrem Mann, fordert Tribut.
Aus der Entfernung kann man ihre Gesichtszüge nicht genau erkennen, aber ohne Frage muß man sich auch als starke Frau auf Dauer wohl eine gewisse „Emotionshärte“ als Schutzschild zulegen. Nur selten huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie scheint angespannt und vielmehr eine Getriebene, die auf diese Weise ihren Schmerz und die Einsamkeit zu bewältigen und gleichzeitig das Vermächtnis ihres Mannes zu erfüllen sucht.