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Julija Nawalnaja - Tage des Exils. WikiPetra

„Die einzige Möglichkeit keine Angst zu haben, ist nicht darüber nachzudenken“, so die heute 48-Jährige Witwe des verstorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny am 19. Februar 2025 im kleinen Saal der Elbphilharmonie (550 Plätze) in Hamburg.

WikiPetra – Reportagen, Hintergrund-Recherchen, Kommentare von Petra Fritz in DNEWS24

Die Veranstaltung ist seit Wochen bis auf den letzten Platz ausverkauft. Kein Wunder, fällt sie doch in eine brisante Zeit, denkt man Trumps „Make America great again“ und den andauernden Ukrainekrieg. Vorne im Saal auf der niedrigen Bühne ein weißes Pult, der Hintergrund ist blau-rot ausgeleuchtet. Stellenweise hört man im Raum russische Satzfetzen, einige Besucher sind von weit her gekommen, um SIE zu sehen und zu hören.

Bereits im Vorfeld hatte es Ende Januar, fast genau ein Jahr nach seinem rätselhaften Tod in einem russischen Strafgefangenenlager, im Hamburger Thalia-Theater Lesungen aus Nawalny-Briefen gegeben; vorgetragen von Schauspieler Michael Maertens. „Hallo, hier spricht Nawalny“ so der Sammeltitel einiger aus der Haft herausgeschmuggelter Dokumente.

Wie hoch ist das Auftrittsrisiko, was bedeutet der Verlust der Heimat?

Mit dem Tod ihres Mannes Alexej Nawalny erbte Julija Nawalnaja quasi dessen Freiheits- und Gerechtigkeitskampf. Aus dem Exil heraus (ihr genauer Aufenthaltsort ist aus Sicherheitsgründen nur wenigen bekannt) will sie Putin weiterhin die Stirn bieten.

Erstmals in ihrem Leben ist sie dafür nach Hamburg gereist; mit dabei Sohn Zahar und ein Leibwächter. Wo und wie Tochter Darja inzwischen lebt, wie sie über die aktuelle Situation und das Handeln ihrer Mutter denkt, wird nicht thematisiert. Angeblich studiert sie dank eines Stipendiums an der renommierten Stanford University in den USA.

Anläßlich des zehnten Jubiläums „Tage des Exils“ unter Regie der Körber-Stiftung, ist Julia Nawalnaja – wie andere Persönlichkeiten der letzten Jahre auch, als da sind z.B. 2018 Can Dündar, 2023 Herta Müller, 2024 Christopher Hope – nicht nur Rednerin, sondern auch Schirmherrin des Events. Sie spricht nicht frei, sondern liest ihr Anliegen konzentriert vom Blatt ab. Ebenfalls eingeladen sind die Ex-Sprecherin von Alexej Nawalny, Kira Jarmysch und ein weiterer im Exil lebende Oppositioneller namens Leonid Wolkow.

Wie verkraftet man das Leben im Exil?

In rot gekleidet mit schwarz-gerandeter Brille und blonder Hochsteckfrisur spricht sie in Englisch. Aber kaum über sich selbst, sondern über allgemeine Daten und Zahlen von Vertriebenen aus der Ukraine, Russland und anderen Teilen der Welt. Obwohl sie Deutschland und anderen westlichen Staaten dankbar für die Unterstützung und Aufnahme von Exilanten ist, würden viele Demokratien dieser Welt – ihrer Meinung nach – derzeit jedoch keinen guten Job machen. Was sie genau damit meint, bleibt offen.

Ist das noch dieselbe Frau, die vor einem Jahr bei der Münchener Sicherheitskonferenz höchst emotional über den schmerzhaften Verlust ihrer großen Liebe sprach?

Damals war sie (zurecht) wuterfüllt und energiegeladen, wollte mit dem Kreml abrechnen und statt ihres Mannes um die Präsidentschaft kämpfen. Ein „Kampf gegen Windmühlen“ hinterläßt offensichtlich Spuren und macht angreifbar. Nun immer in der ersten Reihe zu stehen, statt hinter ihrem Mann, fordert Tribut.

Aus der Entfernung kann man ihre Gesichtszüge nicht genau erkennen, aber ohne Frage muß man sich auch als starke Frau auf Dauer wohl eine gewisse „Emotionshärte“ als Schutzschild zulegen. Nur selten huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie scheint angespannt und vielmehr eine Getriebene, die auf diese Weise ihren Schmerz und die Einsamkeit zu bewältigen und gleichzeitig das Vermächtnis ihres Mannes zu erfüllen sucht.

Mehr Getriebene als Heldin?

Im Fortgang ihrer Rede und der anschließenden kleinen Moderationsrunde mit Muschda Sherzada erklärt Nawalnaja, daß Rußland immer noch ihre Heimat sei, sie immer wieder von einer Rückkehr träume. Dafür müßte ein Moskauer Gericht allerdings erst einmal den gegen sie 2024 erlassenen Haftbefehl wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer „extremistischen Organisation“ aufheben. Zudem wurde das russische Vermögen der Nawalnys eingefroren und der Kreml dürfte sie weiterhin im Visier haben, auch wenn es einmal zu einem Machtwechsel kommen sollte.

Sie werde weiterhin versuchen, politische Veränderungen aus dem Ausland anzustoßen. Wohl wissend, wie schwer dies sein dürfte. Denn schließlich war es ihr Mann, der nach dem Giftanschlag in Omsk 2020 bzw. nach der Behandlung in der Berliner Charité bis Anfang 2021 wieder nach Moskau zurückkehrte. „Er hatte den Mut“, sagt sie dazu.

Aus meiner Sicht, wie sich letztlich bewahrheiten sollte, fast ein tollkühner Entschluß. Nawalny (Jurist und seit 2000 mit Julija verheiratet) war seinerzeit in der Tat einer der ernstzunehmenden Gegner Putins.

Die 90-Minuten-Veranstaltung wirkte manchmal, als ob ihr Mann im Hintergrund zu gegen wäre. „Niemals aufgeben“ war vorrangig sein (verhängnisvolles) Motto.

Der Saal applaudiert, Nawalnaja legt erleichtert die Brille ab, Blumen werden überreicht. Sichtbar ist nur ein Leibwächter. Ob es weitere Maßnahmen gab, war nicht zu ergründen.

Der Abend wurde auf Wunsch von Nawalnaja musikalisch durch den lettischen Violinisten Gideon Kremer samt seines Kamerata-Orchesters untermalt. Der gebürtig aus Riga stammende Künstler und unbeugsame politische Geist, hat lange in Moskau gelebt und unterstützt mit seiner Arbeit ebenfalls Kunstschaffende im Exil.

Möge Julija Nawalnaja weiterhin Kraft finden ihr Leben zu meistern, sie hat meinen höchsten Respekt. Sie wünscht sich ein friedliches und freies Rußland, nämlich das, von dem ihr Mann Alexej immer geträumt hat.

Veranstaltungshinweis

Noch bis zum 7. März 2025 finden die „Tage des Exils“ zum sechsten Mal in Hamburg statt. Das vielfältige Programm lädt dazu ein, sich mit historischen und aktuellen Erfahrungen des Exils sowie mit politischer Verfolgung, Flucht, Zugehörigkeit, Fremdheit und Entwurzelung auseinanderzusetzen. Über 70 Partner, darunter Theater, Kinos, Museen, private Initiativen und Vereine, städtische Einrichtungen und Stiftungen, bieten bis dahin ein umfangreiches Programm mit 50 Veranstaltungen an 42 Standorten in der Hansestadt.

Post Scriptum

Am 30.12.2013 traf ich in Berlin zufällig mit Michail Chodorkowski zusammen. D.h. wir begegneten uns buchstäblich in der Drehtür des Hotel Adlon. Gut gekleidet mit hellem Wollrolli und dunkelblauem Mantel ließ er mir freundlich, ja fast galant den Vortritt. Er wußte, daß ich ihn mit seinem Bürstenhaarschnitt erkannt hatte. Er quittierte meinen Blick mit einem kurzen Lächeln und schien fast dankbar, daß ich Umstehende nicht auf ihn aufmerksam machte oder gar ein Interview wollte. Schließlich war das nur wenige Tage nach seiner überraschenden Haftentlassung aufgrund eines vorweihnachtlichen Gnadengesuch am 20.12. Haftstrapazen oder Ängste sah man dem „Mann-von-Welt“ in keinster Weise an. Relativ zügig strebte er gut in Form durch die Halle den Fahrstühlen entgegen.

Auch er, der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Ölkonzerns Yukos, lebt seit 2013 im Ausland; seit 2015 mit Familie im Londoner Exil. Dies freilich aus einer anderen Situation heraus, denn er wählte einen anderen Weg – auch wenn es gerade für jeden Russen kaum eine schlimmere Strafe gibt, als das Leben im Exil.

Meines Erachtens war es zum damaligen Zeitpunkt von Chodorkowski mutig, ein Hotel zu wählen, daß nur wenige Meter von der Russischen Botschaft „Unter den Linden“ entfernt liegt; vielleicht erfolgte seine Hotelwahl aber auch gerade deshalb.

Bild: Körber-Stiftung, PFritz © DNEWS24

Die Autorin

Petra Fritz

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer und Locarno. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US-Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg und in Folge 12 Jahre im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb) tätig, davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Von 2002 bis 2022 war Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für verschiedene Amtsgerichte in der Vorderpfalz. Seitdem widmet sie sich verstärkt ihrer Coaching- und Autorentätigkeit.

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Teilnehmerin bei der Profi-WM 1978 und Top 10 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten agiert sie seit 2012 auch als semi-professional Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“.

Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.

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