Gedankenmacher: Merz ist mehr Scholz als Churchill
Viele Parallelen gibt es zwischen dem Weltkriegs-Premier in London und dem Bundeskanzler in Berlin. Mehr noch trennt sie.
Winston Spencer Churchill war ein von sich überzeugter Mensch und Politiker. Er ist in jungen Jahren in hohe politische Ämter gelangt und etwa 20 Jahre später auf dem politischen Abstellgleis gelandet. Immer noch Mitglied des Parlaments in London war er zwar gut vernetzt und bestens informiert, aber einflusslos. Sieben Jahre war er der einsame Rufer in der Wüste, warnte vor dem Deutschland Adolf Hitlers und forderte eine drastische Verstärkung der Armee und der Luftwaffe.
Nachdem die Tschechoslowakei im März 1939 zerfiel, weil die Slowakei sich für unabhängig erklärte, Hitler in Tschechien das Protektorat Böhmen und Mähren errichtete und Polen kleine Gebiete Tschechiens annektierte, fühlte sich Premierminister Neville Chamberlain von Hitler hintergangen und schaltete von Appeasement auf Konfrontation. London schloss einen Beistandsvertrag mit Polen und Churchill kam im September 1939, nachdem Großbritannien dem Großdeutschen Reich den Krieg erklärt hatte, wieder als Marineminister ins Kabinett Chamberlain. Am 10. Mai 1940 schließlich übernahm Churchill das politische Erbe von Neville Chamberlain und führte Großbritannien als Premierminister zum Sieg über die Achsenmächte.
Er tat dies mit Härte, unbeugsamem Willen, Offenheit und persönlicher Präsenz. Das von ihm als richtig Erkannte setzte er rücksichtslos durch.
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Es ist zu früh, ein endgültiges Urteil über Friedrich Merz zu fällen. Dennoch drängen sich einige Parallelen auf, die allerdings genau mit der jeweiligen Übernahme der obersten Regierungsverantwortung enden.
Auch Merz kam in jungen Jahren in prominente politische Ämter und stürzte dann unvermittelt ins politische Nirwana. Seine Warnphase war nicht so laut, wie die Churchills, dafür um einige Jahre länger. Seine Eroberung der Parteispitze war holprig, sein Wahlsieg bei der Bundestagswahl glanzlos.
Während Churchill die Kriegslage annahm und den großen Teil der Landstreitkräfte Großbritanniens aus Dunkerque erfolgreich evakuierte, während er seine berühmte „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ vor dem Parlament in London hielt, hält Friedrich Merz die Versprechen, die er als Oppositionsführer gab, bisher nicht. Das ist umso bitterer, als die Lage Deutschlands wirklich schlecht ist. Die wirtschaftliche Lage ist düster, der demografische Wandel fordert Ideen, Fachkräfte und Geld – von allem ist zu wenig vorhanden. Die Bedrohung durch Russland ist real und gleichzeitig fallen die USA als verlässlicher Sicherheits-Garant aus. Die EU ist zerstritten, nicht nur Ungarn und die Slowakei wollen den Containment-Kurs gegen Russland nicht, auch Spanien und andere südliche EU-Staaten haben andere Sorgen, als den Krieg in der Ukraine.
In dieser Situation betont Merz seine Entschlusskraft, stellt sie aber nicht unter Beweis. Damit erinnert er an das fatale Eigen-Lob seines Amtsvorgängers im Kanzleramt:
Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie!
Olaf Scholz (SPD)
Das war bei Scholz Gerede ohne Substanz. Hoffen wir, dass Friedrich Merz sich noch fängt und der Größe seines Amtes und seiner Aufgabe gewachsen ist. Alles andere wäre fatal für unser Land.
P.S. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil reicht übrigens auch nicht an die politische Statur des Labour-Vorsitzenden Clement Attlee heran, der ab 1940 eine Koalition mit den Torys von Winston Churchill bildete. Klingbeil agiert in ganz kleinem parteipolitischem Karo, statt das große Bild zu betrachten.
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