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Der „Dia de los Muertos“: Migration der Seelen – das Leben mit den Toten feiern

Während man in den USA zu „Halloween“ makabre Späße treibt und Europa im tristen November um Allerheiligen und Allerseelen die Heimat vieler mysteriöser Sagen, Gespenster und Vampire ist, wird der nächtliche Besuch von Friedhöfen in Lateinamerika (insbesondere in Mexico) als Totenkult alljährlich sehr lebendig und real gelebt.

WikiPetra – Reportagen, Hintergrund-Recherchen, Kommentare von Petra Fritz in DNEWS24

Ich habe fast eineinhalb Jahre in Mexico-City gelebt und gearbeitet und kann mich gut an die Festivitäten zum „Dia de los Muertos“ erinnern. Der Tag bzw. die drei „Tage der Toten“ sind mit die wichtigsten mexikanischen Feiertage und das Brauchtum seit 2003 als Unesco-Weltkulturerbe.

Die Tage der Toten sind dabei keine mexikanische Version von Halloween. Obwohl die genannten Festtage mit einander verwandt sind, unterscheiden sie sich in ihren Traditionen und ihrer Atmosphäre doch recht deutlich voreinander. Halloween gilt traditionell eher als finstere Nacht des Schreckens und Unheils, während der „Día de los Muertos“ sich über drei Tage in einer Explosion der Farben und der lebensbejahenden Freude erstreckt. Sinn und Zweck ist es, verstorbenen Familienmitgliedern zu gedenken, ihnen Liebe und Respekt zu zeigen. In ganz Mexico legt man dafür farbenfrohe Kostüme an, errichtet kleine Hausaltäre, veranstaltet Festumzüge und Partys, und trifft sich an den Gräbern mit Gaben zum Essen und Trinken.

Kulturhistorische Einordnung

Der „Día de los Muertos“, der vor einigen tausend Jahren in den Kulturen der Azteken, Tolteken, Nahua und anderen indigenen Völkern entstand, ist also auch eine Feier des Lebens und wird mittlerweile in ganz Lateinamerika gefeiert.

Da angenommen wird, daß man auf der langen Reise von der Geisterwelt ins Reich der Lebenden ziemlichen Hunger bekommt, dürfen die Lieblingsspeisen der Verstorben nicht fehlen. Vor allem nicht das süße „Brot der Toten“, das i.d.R. Anissamen enthält und mit Knochen und Schädeln aus Teig verziert ist. Die Knochen-Dekoration ist dabei meist in einem Kreis angeordnet und repräsentiert den Kreislauf des Lebens. Kleine Teigtropfen symbolisieren die Trauer.

Zuckerschädel sind Teil der traditionellen Zuckerkunst, die im 17. Jahrhundert von italienischen Missionaren mitgebracht wurde. Die Schädel werden in Formen gepresst, mit Zuckerfarben verziert und sind in allen möglichen Größen und Designs erhältlich. Die Skelettschädel selbst nach Lust und Laune zu dekorieren, macht in jedem Alter Spaß.

Zu den bevorzugten Getränken gehören Pulque (ein süßes, fermentiertes Getränk aus Agavensaft) und Atole, ein dünnflüssiger, warmer Brei aus Maismehl mit Rohrzucker, Zimt und Vanille. Und natürlich heiße Schokolade, denn schließlich ist Mexiko das Mutterland dieses Genußmittels.

Kurzum: Der Día de los Muertos ist eine sehr gesellige Veranstaltung. Sich selbst als Skelett zu verkleiden und das Gesicht mit Knochenmotiven zu verzieren, gilt nicht als gotteslästernde Herausforderung, es gehört traditionell dazu. Einige Festteilnehmer tragen außerdem Muschelschellen um den Hals oder andere „Krachmacher“, um die Stimmung anzuheizen und in der Hoffnung, die Toten zum Mitfeiern aufzuwecken.

Der „Dia de los Muertos“ in Deutschland

Während mittlerweile nicht nur in Deutschland ganze Bühnenshows mit Tänzen, Zauber- und Feuertricks sowie aufwendigen Kostümen den Tag der Totenrückkehr wie ein Disney-Musical feiern, schätze ich die ursprünglichere, authentische Veranstaltung, die jährlich am 01.11. von 13.00 bis 17.00 Uhr im Linden-Museum in Stuttgart stattfindet.

Es ist ein Familienfest, wo viele in Deutschland lebende Mexikaner*innen für ein paar Stunden ein Stückchen Heimatkultur suchen und finden. Christliche Elemente verbinden sich hier mit pre-spanischen Traditionen und natürlich wird der Tag mit viel Mariachi-Musik und Folklore-Tanz gefeiert. Nicht zu vergessen, die zuvor genannten klassischen Speisen wie Totenbrot, Tamales, Tacos, Süßigkeiten und Kakao.

Lo que passa es esto

Interessierte können sich gleich zu Beginn einer Kurzführung zur „Ofrenda“ auf Spanisch und etwas später in deutscher Sprache anschließen: „Las familias en México ponen para el Día de los Muertos una ofrenda en su casa. Flores, velas, vasos de agua, imágenes de santos, cruces, calaveras de azúcar y fotos son los elementos esenciales. También es importante ofrecer lo que a los familiares fallecidos les gustaba: por ejemplo chocolate, café, Tequila, o algo mas especial como las conchas en el desayuno“.

Übersetzt: In Mexiko stellen die Familien zum Tag der Toten zu Hause eine Ofrenda, eine Art Hausaltar auf. Blumen, Kerzen, Wassergläser, Heiligenbilder, Kreuze, Totenköpfe aus Zucker und Fotos sind die wichtigsten Elemente. Ferner ist es Sitte, das anzubieten, was die verstorbenen Angehörigen besonders mochten: zum Beispiel Schokolade, Kaffee, Tequila oder gar Muscheln zum Frühstück. An der Ofenda können alle Gäste persönliche Gegenstände zur Erinnerung an ihre verstorbenen Weggefährten niederlegen.

Wer selbst mitwirken möchte, ist beim Verzieren der farbenfrohen Zuckerschädel richtig, einem Workshop für Kinder und Erwachsene. Diese kleinen Totenköpfe aus Zucker dürfen auf keiner „Ofrenda“ fehlen. Ein weiterer Bastel-Workshop für die Kleinen beschäftigt sich mit „Alebrijes, Tagetes, Borla und La Catrina“. Darunter versteht man bunt bemalte Fantasietiere aus Holz sowie orange-farbenen Blüten als (Grab)schmuck und Toten-Wegweiser. Mit „Borlas“, bunten Bommeln, können Taschen, Kleidung oder Schlüsselbünde verschönert werden. Und die berühmte Skelettdame „La Catrina“ wird als Papiercollage prächtig gekleidet und kann auch als Fächer verwendet werden.

Während mein Zuckerschädel mehr oder weniger zufällig die Züge von Frida Kahlo annimmt, heizt die Dos Aguilas Mariachi-Band den Anwesenden ordentlich ein und die Tänzerinnen der Adelitas Tapatias samt akrobatischem Tänzer lassen vergessen, daß vor Tür nicht Mexico, sondern Stuttgart ist. Mal schwingen sie in getragenen Walzer- und Rumba-Rhythmen, mal hüpfen sie mit schnellen kleinen Schritten und Drehungen a la Jarabe Patatio über das Parkett. Die farbenfrohen, blumigen Kostüme repräsentieren dabei „Chiappas“, eine Region im Süden des Landes an der Grenze zu Guatemala gelegen.

Der Festsaal ist stets gut besucht. Überall stehen, sitzen, tanzen, essen und plaudern gut gelaunte Menschen. Hier wird Kultur offen für alle gelebt – fern von jeder Aneignung! Und zu guter Letzt darf natürlich die ebenfalls prall gefüllte „Piñata“ nicht fehlen. Darunter versteht man einen bunten Pappmasché Behälter (meist eine Kugel), der traditionell von der Decke baumelt und Süßigkeiten, Minigeschenke und Konfetti enthält. Bringt man sie durch Schlagen mit Stöcken zum Platzen, regnet es süße Überraschungen.

Für lediglich 4.- bis 5.- EURO Eintritt ein buntes Erlebnis für alle Freunde Mexikos und solche, die es werden wollen. Avanza – viva Mexico! Die Veranstaltung wird unterstützt von der Deutsch-Mexikanischen Gesellschaft und ist eine gelungen Mischung aus beschwingtem Fest und Kulturinfo. Meist schließt der Tag mit qualifizierten Vorträgen zum Thema „Im Dialog mit dem Tod“ oder „Totengedenken im Kulturvergleich“ am Beispiel Mexikos und verschiedener anderer Länder, wodurch sich der Kreis zu unseren NovemberFeiertagen schließt.

Mein Fazit

Egal, wie jeder von uns diese Tage begeht, ob und wie man feiert, immer wie die Mexikaner zuerst an das Leben denken.

Alljährlich wird der „Dia de los Muertos“ am 01.11. auch im Berliner Holzmarkt seriös gefeiert. Wer diesen Tag verpaßt, hat Mitte November in der Blomberger Klosterkirche (NRW) nochmals Gelegenheit dazu.

Die Autorin

Petra Fritz

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer und Locarno. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US-Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg und in Folge 12 Jahre im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb) tätig, davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Von 2002 bis 2022 war Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für verschiedene Amtsgerichte in der Vorderpfalz. Seitdem widmet sie sich verstärkt ihrer Coaching- und Autorentätigkeit.

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Teilnehmerin bei der Profi-WM 1978 und Top 10 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten agiert sie seit 2012 auch als semi-professional Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“.

Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.

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